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Besuch der Kenesaund Gespräch mit einem Mitglied der karätischen Gemeinde
An diesem Morgen wollten wir uns über eine Volksgruppe informieren, die in Litauen lebt.
Mit dem Begriff Karäer wird eine im 8. Jahrhundert entstandene jüdische Religionsgemeinschaft bezeichnet, die den Talmud und die mündlichen Überlieferungen des rabbinischen Judentums ablehnt. Unter anderem weicht ihr Kalender vom Kalender des übrigen Judentums ab. Die Karäer leben strikt nach der geschriebenen Thora = Fünf Bücher Moses und interpretieren auch alle der 613 Gebote der Thora ausschließlich aus der Thora selbst. Eine talmudische Tradition oder ein daraus entstehendes Dogma lehnen sie ab.
Kleine Gruppen von Karäern gibt es heute noch in Polen, der Ukraine, Litauen sowie in Frankreich, Australien und Nordamerika. In Israel leben etwa 25.000 Karäer (2002), dort werden sie als nichtreligiöse Juden eingestuft. Außerhalb Israels wird die Zahl der Karäer auf 20.000 geschätzt.
Aufgrund ihrer ethnischen und religiösen Besonderheit wurden sie während der deutschen Besetzung als tatarische Volksgruppe eingestuft und wurden daher von der Verfolgung ausgenommen. Die karaimische Sprache ist eine Turksprache.
Nach einem kurzen Fußweg vom Hotel wurden wir von Frau Karina Firkaviciute begrüßt. Sie führte uns in ihre Kanesa, ein für liturgische Messen vorgesehenes Gebäude, eingeweiht im Jahre 1923. Es gibt in Litauen noch nur noch zwei Gebäude dieser Art. Zur Zeit der sowjetischen Besetzung war das Gotteshaus geöffnet, aber man traute sich nicht, das Haus zu benutzen. Trauungen usw. fanden im privatem Rahmen statt. Nach der politischen Wende wurde das Gebäude wieder der Gemeinde zugeführt. Die Kirche ist nach Süden ausgerichtet. Der Innenraum ist hell. Links und rechts des Mittelganges befindet sich das Kirchengestühl. Am Ende des Mittelganges steht ein Altar. Während eines Gottesdienstes befinden sich die Männer stehend im unteren Bereich, die Frauen nach orientalischer Sitte auf der Empore. Nur alte Menschen setzen sich auf die Bankreihen. Während der Andacht tragen die Männer eine Kappe, die Frauen Tücher. Der karäische Glaube ist einer von neun anerkannten Religionen dieses Landes und hat ein Recht auf staatliche finanzielle Unterstützung. Man ist Mitglied der Gemeinde durch Geburt. Kinder aus Ehen mit Andersgläubigen lernen zwar die Traditionen und die Sprache, sind aber nicht Mitglied der Gemeinde.
Die Gemeinde in Vilnius hat sich zur Aufgabe gemacht, die Sitten und Gebräuche sowie die Sprache zu pflegen, die Ausdruck ihrer Identität ist. Sie wird in der Familie und während des Gottesdienstes gesprochen. Es gibt sowohl poetische Texte als auch religiöse Schriften und den jährlichen Kalender in karäischer Sprache. Die Gemeinde wählt aus ihrer Mitte den geistlichen Vorsteher. Es werden im Jahr ca. 6 religiöse Feste in der Kanesa gefeiert, z.B. Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen.
Die Aktivitäten der Gemeinde sind:
* Jugendarbeit (Kinderensemble)
* Schule zur Pflege der Sprache -Sport- und Kulturveranstaltungen
* Treffen mit Gemeinden aus Polen, Ukraine und den türkisch asabaidschanischen Gemeinden
Ulrike Strobel