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Lower East Side/jüdische ImmigrationErkundungsgang durch die Lower East Side mit Schwerpunkt der jüdischen Immigration
Am Montag, dem 2.10. trafen wir uns mit unserer Guide samt Übersetzer im Herzen der „Lower East Side" bei strahlendem Sonnenschein und erlebten verdichtet auf einen oder zwei Straßenzüge exemplarisch die Entwicklung des Einwanderungs-Viertels von New York.
Ursprünglich existierten in diesem Bereich zwei große Farmen (Delancey und Rütger), die unter dem Bevölkerungsdruck im 19. Jahrhundert zunehmend verstädterten. Die erste große Einwanderungswelle wurde nach der bürgerlichen Revolution in Deutschland 1848 von den Deutschen gestellt. Anschließend gab es drei große Jüdische Immigrationsströme (1880, 1930, 1990) für die die „Lower East Side" die erste Station nach Ellis Island war. Inzwischen gibt es hier massiven Bevölkerungsdruck von Seiten der chinesischen Einwanderer. Chinatown breitet sich nach Osten aus, sowie der vielen Latinos.
War es früher für die jüdischen Einwanderer erklärtes Ziel, mit dem sozialen Aufstieg auch diesen Stadtteil zu verlassen und nach Brooklyn, in die „Upper West Side" oder die Bronx zu gehen, so gibt es heute wieder einen Zuzug von jungen Juden, die die Nähe des Viertels zum Finanzdistrict schätzen. Heute leben noch 30.000 Juden in diesem Stadtteil, vor 100 Jahren waren es 500.000.
In den 30iger Jahren wurden auf dem Gelände ehemaliger Fabriken neue große Wohnhäuser gebaut, die zu jener Zeit bevorzugt über die zumeist jüdisch beherrschten Gewerkschaften an Juden abgegeben wurden. Damit wurden viele alte Wohnungen frei, in die dann vorwiegend Hispanos, später dann auch chinesiche Immigranten zogen.
Unter dem Druck der Immigration aus unterschiedlichen europäischen Regionen mit unterschiedlichen sozialen Gebräuchen wurde nach 1880 die „Educational Alliance" von den bereits assimilierten Juden gegründet. Sie sollte die Integration fördern und beim Erwerb der grundlegenden Kenntisse von Sprache und Staatsbürgerkunde helfen.
Gleichzeitig gab es Hilfe bei der Arbeitsbeschaffung und der Eingliederung im Stadtviertel.
Die „moderne Orthodoxie'' als eine der Hauptrichtungen jüdischen Glaubens wurde in der „Lower East Side" begründet. Zu jener Zeit mußten Juden am Sabbath arbeiten, es gab kein koscheres Essen und die moderne Orthodoxie kämpfte für die Durchsetzung dieser Belange. Und dennoch gab es erhebliche Gegensätze zwischen der alten und neuen „Lower East Side". Die aus den Städel stammenden Einwanderer Osteuropas wollten ihre eigenen Synagogen haben, und so fanden sich unzählige sog. „steeples", die sich erst unter dem Mitgliederschwund teilweise zusammenschlossen. Heute gibt es noch etwa 6 - 8 steeples. Die Geschichte der einzelnen steeples ist so unterschiedlich, daß es keine Möglichkeit gibt, ihre Entwicklung detailliert nachzuvollziehen, da kaum schriftliche Dokumente existieren.
Die Gemeinden in der „Lower East Side" sind bis heute alle orthodox. Die Kinder gehen in jüdische Schulen, die Gottesdienste werden in hebräisch gehalten.
Im Jahre 1897 wurde der "Vorwärts" gegründet, eine linke Zeitschrift, die dem jüdischen Arbeiterbund nahestand. Das historische Gebäude wird heute renoviert und zu Eigentumswohnungen umgebaut, die Zeitschrift erscheint heute in Englisch mit jüdischem und russischem Anteil.
Den Abschluß unseres Stadtviertelgangs bildete der Besuch der Bialystoker Synagoge, die 1826 als methodistische Kirche gebaut und 1905 von der jüdischen Gemeinde gekauft worden war. Die Synagoge ist eines von vier Natursteingebäuden aus jener Zeit in Lower Manhattan und nach einer kompletten Restauration im Jahre 1988 wurden die Bleiglasfenster erst vor zwei Jahren fertiggestellt. Bei der mit den Stemzeichen ausgeschmückten Decke ist der Krebs als Hummer dargestellt und damit ein nicht koscheres Symbol in einer Synagoge.
Heute arbeitet in der „Lower East Side" u.a. das „United Jewish Council", ein Sozialdienst, der die alten jüdischen Gemeinden unterstützt, die alten Synagogen bewahren will, soziale Aufgaben wie „Essen auf Rädern" übernimmt, und versucht die Geschichte der „Lower East Side", die heute noch immer für die Welt als jüdisches Viertel gilt, aufzuarbeiten.